Podiumsdiskussion 2016
Nicht erst seit Beginn des Jahres 2016 dürften alle, denen die Politik in der jüngeren Vergangenheit von einer einschläfernden Eintönigkeit geprägt erschien, wieder aufhorchen: Die Debatten, die sich u. a. an der Flüchtlingspolitik, dem Umgang mit neuen rechten Bewegungen oder dem Terrorismus entzündet haben, sind von einem hohen Maß an Konflikthaftigkeit geprägt. In solchen Situationen wird immer auch der politischen Bildung eine besondere Aufmerksamkeit zuteil: Leistet sie noch Orientierungshilfe? Kann sie helfen, demokratisches Bewusstsein zu stiften und stärken? Oder soll sie (nur situativ) die Feuerwehrfunktion für eine in Brand geratene Demokratie erfüllen?
Insofern erschien der Zeitpunkt gut gewählt: Unter dem Titel „Politische Bildung neu denken! Ideen für eine Demokratie in Bewegung“ lud die CIVES! School of Civic Education am 20. Januar an den Duisburger Campus, um dort ihren ersten Geburtstag zu feiern. Als besondere Gäste waren Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW, Thomas Krüger, Präsident der BPB sowie Franziska von Kempis, Chefredakteurin beim digitalen Jugendbildungsprojekt „Mesh Collective“ nach Duisburg gekommen, um auf dem Podium über neue Zugänge zur politischen Bildung in Anbetracht der aktuellen politischen Situation zu diskutieren. Die Moderation übernahm Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Dekan der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften.
Ziele der CIVES-School
Zunächst präsentierten Prof. Dr. Sabine Manzel und Prof. Dr. Till van Treeck (beide CIVES-Leitung) in einem kurzen Eingangsstatement wichtige Leitlinien ihrer Arbeit: Interdisziplinarität und Multiperspektivität als Kennzeichen sowohl der sozialwissenschaftlichen Bildung, als auch der LehrerInnenausbildung sollten gefördert werden. Zudem gelte es, die Vernetzung der drei Ausbildungsorte für LehrerInnen zu verbessern. CIVES wolle außerdem helfen, Orientierung zu stiften in der „neuen Unübersichtlichkeit“ (Till van Treeck), der Lehrkräfte heute z. B. hinsichtlich der Auswahl von adäquaten Unterrichtsmaterialien ausgesetzt seien.
„Denken in Fächern ist altes Denken.“
Vor dem Hintergrund dieser Gedanken entspann sich eine lebhafte Diskussion, in der verschiedene Themen Platz fanden, die für die CIVES-Arbeit von zentraler Relevanz sind: So wurde u. a. die Lage der schulischen politischen Bildung und des Integrationsfachs „Politik“/„SoWi“ diskutiert. Den Befürwortern eines neuen Separatfaches „Wirtschaft“ erklärte dabei die Schulministerin eine klare Absage: Zwar wollte sie keine grundsätzliche Kritik an einem solchen Fach üben, das zuletzt von einer grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg eingeführt wurde. Vielmehr betonte sie, dass das „Denken in Fächern“ für sie „altes Denken“ sei. Ökonomische Kompetenzen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verbraucherbildung, müssten gestärkt werden – und das sei nicht an ein Separatfach gebunden. Stattdessen gelte es, Synergien zwischen Fächern zu nutzen.
Thomas Krüger hob hervor, dass Deutschland über eine gut ausgebaute Infrastruktur der politischen Bildung verfüge, die in der gegenwärtigen politischen Situation ihre Leistungsfähigkeit zeige und gut nachgefragt werde. Allerdings sei die schulische politische Bildung hierbei in einer relativ prekären Lage: Nicht nur sei Fachbezeichnung und -gestaltung von Bundesland zu Bundesland äußerst unterschiedlich – insbesondere seien die entsprechenden Schulfächer in den letzten Jahren unter Druck von Seiten der MINT-Fächer geraten. Für die LehrerInnen sei es häufig schwer, die Stellung ihres Faches zu behaupten. Auch fachfremder Unterricht sei an der Tagesordnung.
„Wir dürfen nicht mehr von zwei getrennten Welten sprechen.“
Auch Franziska von Kempis zog kein besonders optimistisches Fazit hinsichtlich des Bereichs der schulischen politischen Bildung. Allerdings bezog sie sich hierbei insbesondere auf den Umgang mit digitalen und sozialen Medien im Unterricht. Damit sprach sie den Aspekt der Digitalisierung an, der eingangs als Ursache einer „neuen Unübersichtlichkeit“ ausgemacht worden war. Schule tue auch heute noch häufig so, als könne sie ohne die „digitale Welt“ auskommen. Dabei sei schon diese Idee zweier getrennter Welten ein grundlegendes Missverständnis. Der Einfluss von „Social Media Influencern“, mit denen man bei „Mesh Collective“ Videos produziere, sei nicht zu unterschätzen – und es würde sich lohnen, solche Produkte auch im Unterricht einzusetzen. Allerdings seien gerade ältere Lehrkräfte hiervon oft überfordert.
Die Schulministerin wollte dagegen eine grundsätzliche Kritik an den Medienkompetenzen ihrer Lehrkräfte entlang des Merkmals Jung-Alt nicht gelten lassen. Neue mediale Entwicklungen seien ihr zufolge auch nicht notwendigerweise als Ursache neuer Probleme zu sehen: Die Art und Weise der Materialauswahl und ihres Einsatzes sei immer schon eine qualitative Herausforderung gewesen, auf die die Lehrkräfte in NRW gut vorbereitet würden. Zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte habe man in den letzten Jahren wichtige Schritte unternommen. Allerdings müssten weitere Maßnahmen zur Schulentwicklung stets behutsam durchgeführt werden.
„Mehr Kontrollverlust wagen“
Thomas Krüger hob ebenfalls die Möglichkeiten hervor, die neue Medien und Formate gerade für das Erreichen politikferner Zielgruppen spielen könnten. Besonders im Bereich informeller politischer Bildung sei der Einfluss von „credible peers“ mit „street cred“ nicht zu unterschätzen. Man müsse sich dabei aber auch trauen, „mehr Kontrollverlust (zu) wagen“. Auch bemühe man sich in seinem Hause, stark antizipierend zu arbeiten und nicht den Themen hinterherzulaufen. Hinsichtlich der Auseinandersetzung um den Band „Ökonomie und Gesellschaft“ zog Krüger die Bilanz, dass alle Beteiligten hierbei einen Schaden davongetragen hätten. Als wichtigstes Mittel gegen die Gefahr einseitiger Unterrichtsmaterialien hob er Transparenz hervor – so müsse immer darauf geschaut werden, wer sich hinter einem bestimmten Angebot verberge. Nach wie vor bleibe für ihn – auch unter geänderten medialen Rahmenbedingungen – kritisches Bewusstsein der unverzichtbare Nucleus der politischen Bildung.
Dank
Die kurzweilige Diskussion, in die auch unsere anderen Gäste spannende Fragen und Anregungen einbrachten, lieferte viele wichtige Impulse für unsere Arbeit, an die wir im zweiten CIVES-Jahr anknüpfen werden. So formulierte auch die Schulministerin zum Abschluss: „Weitermachen!“. Wir möchten uns nochmals herzlich bei unseren Gästen, unserem Moderator, den Gastgebern des Soziologischen Kolloquiums und der NRW School of Governance sowie den zahlreichen Helfern vor Ort bedanken!
Unser erstes Jahr im Überblick
Im Anschluss an die Diskussionsrunde gab es für die Besucher die Möglichkeit, sich über Schwerpunkte der CIVES-Arbeit und unsere Aktivitäten im ersten Jahr zu informieren. Hierzu standen sechs großformatige Poster bereit. Falls Sie es nicht zu unserer Geburtstagsfeier geschafft haben -hier finden Sie die Poster im PDF-Format: